Die Darstellung orientiert sich an den praktischen Fragen eines Menschen, der, aus welchen Gründen auch immer, in die dramatische Situation geraten ist, von Strafverfolgungsbehörden verfolgt zu werden und sich einer möglichen Verhaftung gegenüber sieht oder sich bereits in Untersuchungs-, Straf-, oder Auslieferungshaft befindet.
Laut der Antwort des Auswärtigen Amtes (BT-Drucksache 16/1071) auf eine kleine Anfrage im Bundestag im Jahr 2005 befanden sich im Jahr 2004/2005 weltweit ca. 3700 Deutsche in ausländischer Untersuchungs- und/oder Strafhaft, wobei darauf hingewiesen wird, das die Zahl derer die aufgrund eigenen Wunsches oder aufgrund doppelter Staatsangehörigkeit den Deutschen Auslandsvertretungen nicht gemeldet wurden bzw. nicht erfasst sind.
Die entscheidende Zäsur bei der Wahl der Mittel einer Strafverteidigung, ob im Inland oder im Ausland, ist immer die Frage, ob sie aus der Freiheit oder der Inhaftierung heraus erfolgt. Das so genannte Sonderopfer des Bürgers – die Untersuchungshaft – mit Unschuldsvermutung und der Leidensdruck der daraus entsteht, schaffen eine völlig andere Prozesssituation, als das Verfahren das durch einen in Freiheit Befindlichen verfolgt werden kann. In der folgenden Darstellung soll deshalb auch zuerst nach diesen beiden Kriterien unterschieden werden.
Schon im Heimatland, ob bei sich zu Hause, bei einer Polizeikontrolle oder am Arbeitsplatz, stellt eine Verhaftung, d.h. der Freiheit von einem auf den anderen Moment beraubt zu sein, für jeden Menschen eine außerordentliche psychische Belastungssituation dar. Die Isolation der Untersuchungshaft, die Untätigkeit und das Gefühl der Ohnmacht gleichen einem Sturz ins Nichts. Der Angst folgen Schlaflosigkeit, Realitätsverlust und Verfolgungswahn, die je nach Mentalität und Charakter mehr oder weniger gut oder schlecht bewältigt werden.
Nun ist diese Situation schon im eigenen Land, in dem die vertraute Muttersprache gesprochen wird, bereits außergewöhnliche und extrem. Um ein vielfaches schwieriger ist dieses Ereignis jedoch, wenn es einem im Ausland widerfährt. Die Sprache ist unbekannt, das Rechtssystem fremd und man hat vielleicht nur ein paar Brocken Englisch zur Verständigung. Angehörige sind fern und bestens zwei oder drei Mal im Jahr kommt vielleicht ein Deutscher Konsularbeamter zu Besuch.
Unvergleichbar härter als in Deutschland sind in anderen Ländern der Welt die Bedingungen des Strafvollzuges. Überfüllte Zellen, mangelhafte Ernährung und Hygiene, endlose Untersuchungshaft, fehlende anwaltliche Betreuung und eine undurchschaubare Hierarchie unter den Gefangenen sind die Regel. Von drohender Todesstrafe, Gewalttätigkeit und Folter gar nicht zu reden.
So kann die Haft im Ausland in kürzester Zeit psychisch und physisch auszehren und an den Rand der inneren und äußeren Existenzfähigkeit führen. Zu Recht und aus diesen Gründen ist es deshalb auch auf der Grundlage des Deutschen Konsulargesetzes eine der Aufgaben der ständigen Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland sich um gefangene deutsche Staatsbürger in ihrem Zuständigkeitsbereich zu kümmern.
Die staatliche Fürsorge für seine Bürger ist jedoch ein zweischneidiges Schwert. Den einerseits wird natürlich der erste notwendige Kontakt zu Angehörigen in Deutschland hergestellt und kann so eine wirksame Hilfe überhaupt erst organisiert werden, andererseits werden automatisch Deutsche Ermittlungsbehörden über den Verdacht einer Auslandsstraftat in Kenntnis gesetzt und auch in Deutschland entsprechende Ermittlungen eingeleitet, also beispielsweise Hausdurchsuchungen, Observationen, Telefonüberwachungen und Beschlagnahmen um nur ein paar Beispiele aus der Werkzeugkiste der Ermittler zu nennen. Angesichts dieser Konsequenzen mag dass dann den oder die einen oder anderen im Ausland Inhaftierten von dem völkerrechtlich weltweit anerkannten Anspruch auf Benachrichtigung der eigenen Auslandsvertretung abhalten.
In manchen Staaten wird danach allerdings gar nicht erst gefragt, sondern die Meldung sofort weiter gegeben, andere unterlassen sie auch dann, selbst wenn der Inhaftierte darum bittet. In diesem Zusammenhang spielt dann auch die Frage der doppelten Staatsbürgerschaft eine Rolle. Wenn der oder die Inhaftierte nämlich auch noch Staatsbürger des Aufenthaltsstaates ist, so stellt sich dieser möglicherweise auf den Standpunkt die Informationspflicht entfalle, da es sich auch um einen eigenen Staatsbürger handelt. Dann gibt es natürlich auch noch die Fälle in denen der inhaftierende Staat die völkerrechtlichen Regeln schlichtweg missachtet, wie es vor allem bei Staaten mit eingeschränkter Rechtstaatlichkeit häufig der Fall ist.
Gerade in den zuletzt genannten Fällen ist die Hilfe oft am nötigsten und zugleich am schwierigsten. Aber auch in den „Normalfällen“ geht es natürlich in erster Linie darum einen Kontakt zu Angehörigen oder Freunden in der Heimat herzustellen. Je nachdem aus welcher Quelle die Nachricht über die Verhaftung oder das Verschwinden stammt sind die Netzwerke der internationalen Nichtregierungsorganisationen,seien es kirchlich-humanitäre oder Gefangenenhilfsorganisationen oder die Internationale Strafverteidigervereinigung einzubeziehen, um sich einen möglichst schnellen Zugang bzw. Kontakt zu verschaffen. Sowohl die Fragen der Tatvorwürfe, als auch die politische Lage in dem Aufenthaltsstaat müssen in die Arbeit einbezogen werden. Wo und wie verlaufen die wirksamsten Kanäle um auf das Verfahren tatsächlich Einfluss nehmen zu können. Schneller als es sich mancher vorstellen kann gerät man bei diesen Fragen in Wirkungskreise der außenpolitischen Interessen und von Behörden, die nur ungern auf öffentlichen Bühnen agieren. Für eine erfolgreiche Arbeit sind in diesen Fällen deren Spielregeln zu beachten. Gleichzeitig ist natürlich stets auf den großen Einfluss zu achten, den das Eingreifen von Massenmedien haben, im positiven, wie auch im negativen Sinne.
Der Grund für die Verhaftung im Ausland kann zum einen ein Haftbefehl in Deutschland sein, dazu im Folgenden unter A. Haftbefehle aus Deutschland. In diesen Fällen geht es letztlich um eine Auslieferung nach Deutschland, aufgrund eines Auslieferungsersuchens der Bundesrepublik Deutschland. In den anderen Fällen liegt der Anlass für die Verhaftung im Ausland. Das Strafverfahren findet im Ausland statt, hierzu Punkt B. Haftbefehl aus dem Ausland.
Zur globalen Verfolgung von Straftaten dienen unterschiedliche Informationssysteme der internationalen und nationalen Polizeiorganisationen, hierzu folgt unter die Darstellung der C. Informationssysteme und internationale Polizeiorganisationen.
Besonders schwere Delikte wie Völkermord oder andere Verbrechen gegen die
Menschlichkeit, insbesondere durch Mitglieder von Regierungen und Streitkräften
werden seit den „Nürnberger Prozessen“ im Auftrag der Vereinten Nationen durch
Sondertribunale verfolgt oder seit der Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofes
in Den Haag durch diesen,
siehe dazu D. ICC und Sondertribunale.